Inger Christensen
DIE JUNINACHT GIBT ES
Die Juninacht gibt es, die Juninacht gibt es,
der Himmel, endlich wie erhoben zu himmlischen
Höhen und zugleich so zärtlich gesenkt wie wenn
Träume gesehn werden können bevor sie geträumt werden; ein Raum
wie ohnmächtig, wie mit Weiße gesättigt, ein stundenloses
Läuten von Tau und Insekten, und keiner in
diesem fliegenden Sommer, keiner begreift dass
es den Herbst gibt, den Nachgeschmack und das Nachdenken
gibt, nur die schwindelerregenden Reihen dieser
rastlosen Ultrageräusche gibt es und das Jadeohr der
Fledermaus, dem tickenden Dunst zugewandt;
nie war die Neigung des Erdballs so herrlich,
niemals die zinkweißen Nächte so weiß,
so wehrlos aufgelöst, milde ionisiert
weiß, und nie die Unsichtbarkeitsgrenze so nahezu
berührt; Juni, Juni, deine Jakobsleitern
gibt es, ein Schweben galaktischer Keime zwischen
der Erde so irdisch und dem Himmel so himmlisch,
das Jammertal still, so still, und das Weinen
herabgesunken, herabgesunken, wie Grundwasser wieder
in die Erde; die Erde; die Erde in ihrem Lauf
um die Sonne gibt es; die Erde auf ihrer Route
durch die Milchstraße gibt es; die Erde unterwegs
mit ihrer Last von Jasminen, mit Jaspis und Eisen,
mit Eisernen Vorhängen, Vorzeichen und Jubel, mit Judasküssen
geküsst auf Verdacht und jungfräulichen Zorn in
den Straßen, Jesus aus Salz; mit dem Schatten des
Jakarandabaums überm Flusswasser, mit Jagdfalken, Jagdflugzeugen
und Januar im Herzen, mit Jacopo della Quercias
Brunnen Fonte Gaia in Siena und mit Juli
so schwer wie eine Bombe; mit heimischen Hirnen,
mit Herzfehlern und Zittergras und Erdbeeren,
mit den Wurzeln des Eisenbaums in der erdmüden Erde
die Erde die Jayadeva in seinem mystischen Gedicht
aus dem 12. Jahrhundert besingt; die Erde mit
der Küstenlinie des Bewusstseins blau und mit Nestern wo
es den Fischreiher gibt, mit seinem graublau gewölbten
Rücken, oder es die Zwergdommel gibt, kryptisch
und scheu, oder es den Nachtreiher, den Seidenreiher gibt,
und den Grad von Flügelschlagen bei Heckenbraunellen, Kranichen
und Tauben; es die Erde gibt mit Jullundur, Jabalpur und
der Jungfrau, mit Jotunheim und dem Jura
gibt, mit Jabron und Jambo, Jogjakarta
gibt, mit Erdgestöber, Erdrauch gibt,
mit Wassermassen, Landmassen, Erdbeben gibt,
mit Judenburg, Johannesburg, dem Jerusalem von Jerusalem
Die Atombombe gibt es
Hiroshima, Nagasaki
Hiroshima am 6.
August 1945
Nagasaki am 9.
August 1945
140.000 Tote und
Verletzte in Hiroshima
Ca. 60.000 Tote und
Verletzte in Nagasaki
Zahlen die stillstehn
irgendwo in einem fernen
gewöhnlichen Sommer
seitdem sind die Verletzten
gestorben, erst viele, die
meisten, dann weniger, aber
alle; zuletzt
die Kinder der Verletzten,
totgeboren, sterbend,
viele, ständig
einige, schließlich die
letzten; ich stehe in
meiner Küche und schäle
Kartoffeln; der Wasserhahn
läuft und übertönt
fast die Kinder
draußen im Hof;
die Kinder rufen und
übertönen fast
die Vögel draußen in
den Bäumen; die Vögel
singen und übertönen
fast das Flüstern
der Blätter im Winde;
die Blätter flüstern
und übertönen fast
mit Stille den Himmel,
den Himmel der leuchtet,
und das Licht das fast
seit damals dem Feuer der
Atombombe ein wenig
geähnelt hat